BOAT & BIKE IN DER ÄGÄIS
Ein ohrenbetäubendes Dröhnen reißt mich schlagartig aus dem Schlaf. Nach kurzer Orientierungslosigkeit fällt mir ein: Ich bin auf einem Segelboot in der Ägäis!
Es ist Mai 2021 und wir sind am Tag zuvor mit dem ersten Flieger, der seit langer Zeit wieder von München aus nach Kos gestartet ist, hier angekommen. Die „Cinzia“ erwartet uns in strahlendem Weiß und nach herzlicher Begrüßung durch unsere griechischen Bike-Guide-Freunde Tasos, George und Nicolas und den Kapitän Christos beziehen wir unsere schwimmende Unterkunft. Eigentlich wäre jetzt Hauptsaison, doch bis auf ein paar vereinzelte Schiffsleute ist die Marina menschenleer.
NISYROS
Als erste Insel steuern wir Nisyros an, eine kleine Vulkaninsel südlich von Kos. Wir sind das einzige Schiff auf dem Meer! Vermutlich war hier selbst zu Zeiten der Odyssee mehr los. Bei strahlender Morgensonne pedalieren wir ein paar Hundert Höhenmeter zur Kapelle am Gipfel hinauf. Und genießen zum ersten Mal den göttlichen Panoramablick! Gesprenkelt von unzähligen Inselchen breitet sich das tiefblaue Meer unter uns in alle Richtungen aus. Unsere erste Abfahrt zum Örtchen Nikia am Kraterrand gestaltet sich dagegen gleich als echte Herausforderung.
An der Grenze der Kontrollierbarkeit holpern wir über die Treppe unterhalb der Kapelle über die ungleichmäßigen und ausgesetzten Stufen. Nicht unbedingt zu empfehlen! Unsere Adrenalinspiegel sind deutlich erhöht, als wir glücklicherweise alle heil am Dorfplatz ankommen. Nach einer kurzen Rundfahrt durch die einsamen Gässchen setzen wir unsere Abfahrt Richtung Krater fort und werden dann aber mit feinstem Mountainbike Flow nach griechischer Art entlohnt!
Die Sonne scheint, die Grillen zirpen im Olivenhain und wir zirkeln unsere Räder an Jahrtausende alten Trockensteinmauern entlang den Berg hinab … Unten wird es wieder steiler und anspruchsvoller. Immer größere Felsbrocken und -stufen liegen auf dem Pfad, auch die Serpentinen werden enger, bis sich der Weg in ein verblocktes Bachbett verengt und unfahrbar wird.
Doch wir stolpern einfach die letzten Meter bis zur Kraterebene weiter, denn wo bitte kann man mit seinem Bike tatsächlich bis auf den Grund eines Vulkans hinabfahren? Nachdem wir dieses Erlebnis voll ausgekostet haben und allen etwas übel von den Schwefeldämpfen ist, fahren wir nochmal hoch und schließen den Tag mit einer grandiosen Abfahrt im Nachmittagslicht ab. Wieder durch Olivenhaine, aber mit deutlich entspannteren Trails und grandiosem Blick auf das tiefblaue Meer.
KOS
Am nächsten Tag steht Kos auf dem Programm. Seit Jahren arbeitet unser Guide George hier an der Erschließung eines stetig wachsendes Trail-Netzwerks. Dank Shuttle können wir uns voll auf die Abfahrten konzentrieren und schon der erste, von George und seiner Crew angelegte Trail entpuppt sich als ein wahres Schmankerl. Mit atemberaubender Aussicht geht es in stetem Auf und Ab direkt auf der Rückenlinie an einem Hügel entlang. Linker Hand fällt der Hang steil Richtung Meer hinunter, rechts läuft der Höhenzug sanft und bewaldet ins Inselinnere herab.
Ein Singletrail vom Feinsten, mit kleinen Sprüngen und Anliegern, der sich in weitgeschwungenen Schleifen durch duftende Kräuterwiesen schlängelt. Später, die Strecken im Wald, sind auch mit viel Liebe zum Detail und so clever angelegt, dass sich der Shuttle-Aufwand in Grenzen hält und wir den Tag über die gesamte Bergflanke entlang abarbeiten können. Ein weiteres Schmankerl erwartet uns dann bei der Überfahrt nach Leros: ein Badestopp mit glasklarem, türkisen Wasser in einer einsamen Bucht!
LEROS
Leros entpuppt sich dann als nächstes Highlight. Und das liegt in erster Linie an Jorgos, der mitstämmiger Figur und Glatze erstmal so gar nicht nach Mountainbiker aussieht, sich aber schnell als Urgestein der hiesigen Bike-Community herausstellt. Alles, was mit Biken auf dieser Insel zu tun hat, hat er initiiert – und auch gleich eine ganze Gruppe Nachwuchs- Biker mitgebracht! Zehn Jugendliche mit zum Teil abenteuerlicher Ausrüstung begrüßen uns und gemeinsam mit Jorgos an der Spitze strampeln wir los zur Burg hinauf. Hier beginnen die „Castle Steps“, eine mehr als einen Kilometer lange Treppe mit langen Stufen, die Jorgos uns als erste Abfahrt ausgesucht hat. „Very flowy!“ ruft er uns noch zu, bevor er mit irrwitziger Geschwindigkeit die Treppe runtersaust. Wir rumpeln fröhlich hinterher und versuchen den Flow dieser „Flow Steps“ zu ergründen …
Unten treffen wir uns alle etwas durchgeschüttelt, aber mit breitem Grinsen wieder. Das wird noch breiter – und ungläubiger – als Jorgos beginnt die Bikes auf einem alten Muldenkipper zu verladen. Und zwei Jungs aus der Gruppe zum Festhalten der Bikes auf die Ladefläche kommandiert! Shuttle á la Leros! Eine halbe Stunde später kommen Rider und Bikes wohlbehalten am markanten Ausgangspunkt des ersten „echten“ Trails der Insel an. Direkt neben überdimensionierten Betonohren, die im 2. Weltkrieg als Lauscheinrichtung dienten, beginnen fantastische Trails, die Jorgos mit seinen Freunden sehr behutsam in die beeindruckende Küstenlandschaft modelliert hat.
Und im Anschluss zeigt uns Jorgos noch eine beeindruckende Cross-Country Strecke gleich ums Eck. Nach einem steilen, aber kurzen Anstieg auf einen bewaldeten Hügel finden sich ein Trail, der sich in zig weiten Schleifen am Hang entlang windet. Ein kilometerlanger Track, auf dem ernsthafte Mountainbike-Rennen möglich sind, ohne dass wirklich Höhenmeter benötigt werden.
Jede Abfahrt ist so gebaut, dass der Schwung fast für den folgenden Gegenanstieg ausreicht und man mit ein bisschen Pedalieren immer im Flow bleiben kann. Auch eine Übungsstrecke für den Nachwuchs findet man im Wald. Hier wurde wirklich an alles gedacht!
Nach ein paar Abfahrten überrascht uns dann ein anderer Teil des Bike-Clubs mit einem leckeren Barbecue in einer entzückenden, kleinen Badebucht. Steaks, Fladenbrot und Tsatsiki, dazu ein kühles Bier am Strand. Hier bleiben keine Wünsche offen!
Nur schwer trennen wir uns von dieser schönen Insel mit ihrer aufblühenden Mountainbike-Kultur, aber bei uns stehen für die nächsten Tage mit Lipsi und Patmos noch weitere Inseln mit wunderbaren Abfahrten und fast schon gewohnt spektakulären Aussichten auf dem Programm.
LIPSI & PATMOS
Patmos gilt mittlerweile als Geheimtipp unter diversen Hollywood-Schauspielern und in Lipsi führt uns unser Captain auch noch zu einer atemberaubend schönen, türkisfarbenen Lagune. Atemberaubend ist sprichwörtlich auch der versteckte Zugang, man erreicht sie nämlich nur durch einen kurzen Tauchgang unter einer Felswand hindurch. Fast genauso spektakulär ist dann auch die Rückkehr zum Schiff: Anstatt zurück zu tauchen, klettern wir aus der Lagune auf die Felswand und springen von oben direkt neben unser Boot.
Am nächsten Morgen, auf dem Rückweg nach Kos, passiert es dann. Wir sitzen gerade beim Morgenkaffee, als uns der Seegang trifft. Das Schiff schaukelt sich in Sekundenschnelle auf und unsere Bikes, die wir eigentlich gewissenhaft auf dem Oberdeck festgezurrt hatten, setzen sich in Bewegung. Zu dritt stürzen wir uns auf den in Auflösung befindlichen Bike-Haufen, doch es gelingt uns kaum, die Bikes auch nur festzuhalten. Erst als die anderen zum Helfen herbeieilen, schaffen wir es mit vereinten Kräften, die Situation mühsam wieder unter Kontrolle zu bringen. Der Schreck sitzt uns danach tief in den Knochen und unsere griechischen Freunde versprechen, sich bis zu unserer nächsten Reise ein Fahrradträger-System zu überlegen.
Denn diese Reise möchte jeder von uns wieder machen!
Was wir in dieser kurzen Woche an Eindrücken, Gastfreundschaft und Mountainbike-Begeisterung erleben durften! Und dann auch noch dieses Gefühl, mit dem Schiff jeden Tag zu einem neuen, noch spektakuläreren Ort zu segeln … Danke George, dass du diesen Trip möglich gemacht hast und danke an Christos, Tasos, George und Nico für die hervorragende Betreuung auf dem Schiff und allen Inseln!