ES IST SOMMER 2021: VANCOUVER
Mit einem breiten Grinsen im Gesicht sitze ich mit Geoff „Gully“ Gulevich am Fuße des Cypress Mountain Ski Resort. Gully hat mir gerade seine Home-Trails gezeigt und jetzt, bei einem kühlen Bier danach, erzählt er mir von der Idee, an der er und sein B.C.-Shred-Buddy und Red Bull Rampage-Gewinner Kurt Sorge schon länger tüfteln: eine Expedition auf die hochalpinen Trails in Peru.
Gescoutet hatten sie diese „Location“ schon vor geraumer Zeit, doch um eine Expedition in solche Höhen und in eine so abgelegene Region mit so alpinem Gelände stemmen zu können, benötigt man Experten vor Ort, die sich mit allen lokalen Gegebenheiten auskennen und die Logistik bewältigen können. Mit Nic und Bill von Haku Expeditions waren endlich die richtigen Partner gefunden, um diese Vision wahr werden zu lassen.
PERU, ICH FAHRE NACH PERU
Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal zu träumen gewagt hatte: Ich sollte unsere beiden Freeride-Pros nach Peru begleiten! Denn glücklicherweise passte das Projekt perfekt in unseren Überarbeitungszyklus der STAGE und EXPLORER Rucksackserie und bot die ideale Gelegenheit für den finalen Härtetest.
Was ich damals ebenso noch nicht wusste: Wir sollten nicht nur auf hochalpinen Trails unterwegs sein – es stand zusätzlich anspruchsvollstes Big-Mountain-Freeriding auf dem Programm. Gully und Kurt planten, sich an den höchsten, steilsten Geröll-Rinnen zu versuchen!
In Peru angekommen, treffen wir uns alle bei Haku Expeditions in Cusco. Die alte Hauptstadt ist auf 3416 Metern im Andenhochland gelegen und war jahrhundertelang der Sitz der Inka- Macht. Und zum Glück haben wir dort noch etwas Zeit, uns zu akklimatisieren, bevor wir zur ersten Shooting-Location in die Berge aufbrechen.
DIE CREW
Unsere Crew besteht aus Gully und Kurt, Bill und Nic von Haku Expeditions, unserem Filmer Matt Brooks, Drohnenpilot „Popin“ Juan Alfonso Reece, unserem Fotografen Manfred Stromberg und meiner Wenigkeit. Und einer Gruppe lokaler Sherpas, die uns bei dieser Expedition unterstützen. Meine erste Lektion: In dieser Höhe ist es superwichtig, viel zu trinken. Bier zählt nur bedingt!
Unsere erste Riding-Location mit Camp liegt am Fuße des Gletschers Ausangate, der fünfthöchste Berg von Peru südöstlich von Cusco. Die Nächte im Zelt sind unfassbar kalt und unsere Bikes morgens mit einer dicken Schicht Reif überzogen. Meine zweite Lektion: In Höhenlagen von 4.000 bis 5.000 Metern über dem Meeresspiegel geht einem nicht nur auf dem Bike schnell die Luft aus – es ist auch nahezu unmöglich, zu schlafen.
"Sé Hombre"
"Auf geht's, weiter geht's!"
AM FUßE DES GLETSCHERS
In diesem Camp bleiben wir für zwei Nächte und haben die Möglichkeit, die ersten Rinnen zu fahren und die ersten Aufnahmen zu machen. So bekommen wir ein Gefühl für den Untergrund und die Steilheit. Und dass diese Spots am Rand des Inka-Trails liegen, der von Cusco aus durch die Anden zur sagenumwobenen Ruinenstadt Machu Picchu führt, macht das Erlebnis noch ein ganzes Stück einzigartiger für uns.
Außerdem raubt uns hier zum ersten Mal nicht nur die Höhe den Atem. Der Sternenhimmel ist so klar und die Sterne samt Milchstraße so nah, dass man meint, sie einfach vom Himmel pflücken zu können. Demut macht sich breit – welch unglaublicher Anblick!
Beeindruckend ist außerdem, wie früh hier die Sonne untergeht und wie schnell es dann bitterkalt wird. Trotz Lagerfeuer und schmackhaftem Bier wünscht man sich schon in der Dämmerung in seinen warmen Schlafsack und so liegen wir meistens bereits um 20:30 Uhr in den Zelten. Oft werden wir allerdings mitten in der Nacht wegen der dünnen Luft wieder wach. Besonders zu schaffen macht sie uns in unseren Camps am Rainbow Mountain auf 5.200 Metern und im Red Valley, das auf 4.000 Metern Seehöhe liegt. Man wacht mit dem Gefühl auf, keine Luft mehr zu bekommen, und muss erst ein paar Mal tief durchatmen, um überhaupt weiterschlafen zu können.
Ein weiterer ständiger Begleiter in dieser Höhe: Kopfschmerzen. Ich lasse mich von Kurt, Geoff und Bill von einem alten „Hausmittel“ in der Andenregion überzeugen, das scheinbar gegen fast alles hilft: das Kauen von Kokablättern. Und tatsächlich, die Kopfschmerzen werden besser – aber hey, stattdessen habe ich jetzt einen komplett pelzigen Mund.
RAINBOW MOUNTAIN
EINFACH NUR: Wow! Die verschiedenen Gesteinsarten sind hier so geschichtet, dass der Bergrücken aussieht wie ein aus Erde geformter Regenbogen. Selbstverständlich steht dieses Juwel unter Naturschutz – umso schöner das Gefühl, dass wir am gegenüberliegenden Berg einige der besten Freeride-Rinnen fahren dürfen.
Der softe Untergrund und das feine Geröll fühlen sich unter den Reifen an wie frischer Tiefschnee unter einem Snowboard. Und genau so muss man auch fahren! Das Bike immer über beide Räder driften und quer zum Hang rutschen lassen, wenn man die Geschwindigkeit rausnehmen möchte. Im ersten Moment sehr ungewohnt, aber ein Riesenspaß, sobald man den Dreh raushat!
BACK TO WORK
Abends sitzen Gully, Kurt und ich mit Stirnlampen im Küchenzelt zusammen und sammeln unser Feedback zu den Rucksackprototypen. Ganz besonders geht es um die neu entwickelten Rückenteile des EXPLORER PRO und STAGE. Nach mehreren Tagen intensivster Tests gehen wir jedes Detail einzeln durch. Wichtig ist, dass die Rucksäcke auch auf anspruchsvollen Trails körpernah, stabil und bequem am Rücken anliegen, das Gewicht der Ladung gut verteilen und dadurch nicht hinund herschwingen. Gleichzeitig ist eine leistungsstarke Belüftung essenziell, damit man als Fahrer nicht überhitzt. Und wer könnte das alles besser beurteilen als unsere beiden Profis Gully und Kurt, die die Rucksäcke tagelang auf peruanischen Bergkämmen an ihre Grenzen bringen? Und auch wenn es nicht ganz einfach ist, alle ihre Eindrücke, Ideen und Vorschläge nach zehn Stunden auf den Trails gut aufzunehmen, so ist dieses Feedback extrem wertvoll für unsere Entwicklung.
Erst im Flugzeug zurück nach Europa beginne ich, das Erlebte zu verarbeiten. Die Farben, die Weite der Landschaft, das Trail-Riding – einfach alles auf dieser Expedition ist mit Worten schwer zu beschreiben. So geht die 30-stündige Rückreise wie in Trance an mir vorbei. Und Manfred, der im Flieger rechts neben mir sitzt, hat selbst im Schlaf noch ein Grinsen im Gesicht …